D. Skenderovic: The Radical Right in Switzerland

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Titel
The Radical Right in Switzerland. Continuity and Change, 1945-2000.


Autor(en)
Skenderovic, Damir
Erschienen
Oxford 2008: Berghahn Books
Anzahl Seiten
470 p.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Kreis

Damir Skenderovics Studie über die im gängigen Politpanorama auf der rechten Seite angesiedelten Kräfte füllt unzweifelhaft eine Lücke und entspricht einem ernsten Desideratum. Einerseits bietet sie eine faktische Zusammenstellung von zum Teil schwer zugänglichen Daten und einen Überblick über eine nicht leicht einsehbare Landschaft. Anderseits, und darin liegt die Hauptleistung, bettet sie die schweizerische Variante der radikalen Rechten in den internationalen Kontext ein und ergänzt in willkommener und nötiger Weise das Handbuch über Extremismus in den 27 EU-Staaten von Jesse/Thieme (2011). Allein schon mit der Präsentation in der Sprache, in der wissenschaftliche Verständigung heutzutage läuft, macht sie den Fall Schweiz international diskutierbar. Diese Publikation sorgt aber auch mit ihrem Ansatz dafür, dass die Schweiz in diesem Punkt nicht weiterhin zu Unrecht als Sonderfall verstanden wird.

Es gibt das nur teilweise zutreffende Bild, wonach die Schweiz eine Friedensinsel, ein Land der demokratischen Tradition, der politischen Stabilität, der konsensualen Machtteilung, der Rücksicht auf Minderheiten, ja des Multikulturalismus und des wirtschaftlichen Wohlstands ist. Wegen dieser – auch und gerade im Ausland – bestehenden irrigen Vorstellung haben sich die Experten des Rechtsradikalismus für die Schweiz nicht interessiert. Skenderovic weist nun nach, dass es mindestens seit 1945 eine radikale Rechte als politische Familie, als Lager oder als kollektiven Akteur gibt. Sie hat sich mit ihrem Ausschliessungsdenken in dieser scheinbar egalitären und tatsächlich pluralisierten Gesellschaft mit bemerkenswertem Erfolg etabliert.

Gegen die bisher dominierende Schule, welche sich vor allem für die strukturellen und an der sozialen Nachfrage orientierten Voraussetzungen von Rechtsradikalismus interessierte, zieht der Verfasser eine akteurzentrierte Betrachtung vor. Zu Beginn (Kap. 2) referiert der Verfasser zwar auch externe Erfolgsfaktoren. Er schreibt aber einleuchtend den wirtschaftlichen Bedingungen keine determinierende Wirkung zu. Die rechtsradikale Überfremdungsbewegung hat sich in den wirtschaftlich guten 60er Jahren etabliert, die «neue» SVP dagegen hat von den wirtschaftlich schlechten 90er Jahren politisch profitieren können.

Statt die Rechtsradikalen primär von aussen stimuliert zu verstehen, interessiert sich Skenderovic für die Innenverhältnisse und versteht die rechtsradikalen Kräfte vor allem als Agenturen und Ingenieure ihres eigenen Erfolgs. Nur so könne man die Varianten zwischen und in den einzelnen Ländern erklären. Das hat teilweise gewiss seine Berechtigung; es fragt sich aber, warum nicht in einer Kombination beider Zugänge die beste Wahrnehmung gesehen wird. Das Kontextverständnis kommt zu kurz. Der Verfasser betont allerdings, dass in der Direkten Demokratie (auch eine Art «externer» Voraussetzung) eine stark begünstigende Rahmenbedingung liegt. Der Autor zieht es vor, sehr allgemein von den 30er, den 60er, 70er, 80er und 90er Jahren zu sprechen. Er weist mehrfach darauf hin, dass in der Kombination von «Continuity and Change» in den 80er Jahren so etwas wie eine Wende oder in den 90er Jahren ein Durchbruch stattgefunden hat.

Zur Akteurzentrierung gehören die Aufzählung von Aktionseinheiten, Akteurnamen, agierenden Medien, ferner die Benennung der Leitideen und die Belege von ein paar wenigen Zitaten, sodann vor allem die Zusammenstellung von Wählerzahlen und die Gesamtcharakterisierung (Typologien) mit standardisierten, aber variierenden Grafiken. Die Ausführungen zu den Interaktionen innerhalb von dem, was heutzutage schnell als Netzwerk bezeichnet wird, bleiben allerdings blass, sie müssen es in Ermangelung von Quellenmaterial jedoch auch bleiben. Briefe wie derjenige Christoph Blochers (des nachmaligen SVP-Bundesrats) an den Genozidleugner Jürgen Graf von 1997 sind ja eine Seltenheit (vgl. S. 322). Der beschränkte Einblick gestattet kaum neue Angaben zum inneren Funktionieren der Partei und keine qualifizierten Aussagen über die zur Verfügung stehenden Finanzen. Von der Zürcher SVP heisst es beispielsweise, dass sie 1995 mit ihren 1,8 Mio. Franken mehr eingesetzt hat als die anderen SVP-Sektionen der restlichen Schweiz (S. 133). Und in die EWR-Abstimmung von 1992 habe der SVP-Führer persönlich über eine Million gesteckt (S. 140).

Der historische Exkurs setzt mit einem kurzen Blick auf die Frontenbewegung der Zwischenkriegszeit ein. Von ihr wird treffend gesagt, dass unter anderem die föderalistische Segmentierung das Entstehen einer nationalen Massenbewegung unmöglich gemacht, dass aber deren Ideen weit in die bürgerliche Mitte Zustimmung gefunden hätten. Während die schweizerischen Fronten eher späte Kopien gesamteuropäischer Bewegungen sind, ist die schweizerische Anti-Überfremdungsbewegung der 1960er Jahre, wegen der Direkten Demokratie, eine Vorreiterin im westeuropäischen Feld und zugleich eine Wegbereiterin im schweizerischen Rahmen. Als Ein-Themen-Bewegung beschränkt sie sich auf die Migrationsfrage, zunächst auf die Arbeitsmigration, gegen Ende ihrer Zeit leicht erweitert in Richtung der Asylmigration (vgl. 3. Kap.).

Skenderovic unterteilt die Zeit seit 1945 in drei Phasen: die erste von den «early» 1960er bis in die «mid» 1980er Jahre, in denen die Überfremdungsparteien die radikale Rechte ausmachten; dann bis in die «early» 1990er Jahre, in denen am rechten Rand mehrere Splitterparteien aktiv waren (vgl. Kap. 4); und schliesslich die 1990er Jahre, in denen es der SVP mit einer fulminanten «sucess story» gelang, sich als starke gesamtschweizerische Rechtspartei zu etablieren. Die Zürcher SVP war in den 70er und 80er Jahren für das, was in den 90er Jahren auf nationale Ebene umgesetzt wurde, so etwas wie ein Labor für Inhalte, Strategien und Instrumente (vgl. Kap. 5). Der Neuen Rechten werden zwei eingehende Kapitel (Kap. 6 für die deutsche und Kap. 7 für die französische Schweiz) gewidmet. Die letzte Präsen tation (Kap. 8) gilt der extremen Rechten mit ihrem ideologisch-propagandistischen und dem gewalttätigen Flügel. Der eine war bereits in den 50er Jahren aktiv, der andere seit den 80er Jahren, zum Beispiel mit Anschlägen auf Asylunterkünfte.

Die wichtigste Leistung dieser Innenansicht besteht in der Binnenkategorisierung der verschiedenen Strömungen. Dem Verfasser ist die Unterscheidung zwischen radikaler und extremer Rechten wichtig. Nicht ganz schlüssig ist die Situierung der radikalen Variante als überdachendes Phänomen und zugleich auf der unteren Ebene in Abgrenzung zur Extremvariante. Einleuchtend ist bei vielen Gemeinsamkeiten bezüglich Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und ambivalenter Einstellung zum Staat die Unterscheidung zwischen der systemablehnendenausschliessenden und alle Kampfmittel (auch Gewalt) gutheissenden Grundhaltung bei den Extremen einerseits und der systembejahenden-einschliessenden Grundhaltung bei den Radikalen andererseits.

Was macht denn das Radikale aus? Es ist das an der Transformation der SVP in den 1990er Jahren ablesbare, nicht konsensorientierte Betonen von Unterschieden zum Rest des Systems, der bekanntlich gerne als «classe politique» oder als establishment (um einen 68er-Terminus zu verwenden) bezeichnet wird. Ihre Haltung ist populistisch, weil auf Mehrung der Basiszustimmung ausgerichtet. Eine spezielle Kategorie zwischen extremer und radikaler Rechte bildet die intellektuelle Formation der Neuen Rechten mit ihren ideologischen und konzeptionellen Beiträgen. Zu ihr zählt der Verfasser, nachvollziehbar, die beiden schweizerischen Historiker Peter Stadler (S. 220ff.) und Wolfgang von Wartburg (S. 294). Doch die Abgrenzung gegen die Mitte ist schwierig, die Übergänge sind fliessend. Während den Unterscheidungen am rechten Rand einige Überlegungen zu Gute kommen, bleibt auf der anderen Seite die Unterscheidung zwischen radikaler und gewöhnlicher Rechten unterbelichtet. Letztere sind offenbar einfach die Konservativen. Eine Veranschaulichung der beiden Kategorien findet man (oder fand man) im Unterschied der Zürcher und der vormaligen Berner SVP. Der Verfasser wollte nicht einfach eine Geschichte der SVP zeichnen, ihm war es wichtig, diese im Kontext sozusagen der ganzen rechtsradikalen Familie zu erfassen. Er hat denn auch andere Kräfte durchaus aufgezeigt. Das Interagieren der SVP «in array of other groups» (S. 341) wird aber nicht wirklich sichtbar und darum auch nicht die Bedeutung des Ensembles. Es muss eine Vermutung bleiben, dass es gegenseitige Stützungseffekte gegeben hat.

In seinen Schlussfolgerungen (Kap. 9) hebt der Autor hervor, dass die radikale Rechte der Schweiz, analog zu Bewegungen in Westeuropa, eine hohe organisatorische Komplexität aufweise und die Interaktionen im Rahmen der rechtsradikalen Familie es rechtfertigen würden, sie als einen kollektiven Akteur mit gemeinsamer Identität zu bezeichnen. Man kann dem Autor folgen und den Zulauf der SVP nicht als Folge von wachsender Verunsicherung sehen, sondern vor allem als das Ergebnis der eigenen Anstrengungen. Wichtige Momente dieses Selbstaufbaus waren die stark vom Sonderfalldenken geprägten Abstimmungen zum UNO-Beitritt (1986) und zum EWR-Beitritt (1992). Die SVP schuf sich als «designer» und «builder» selber. Eine wichtige, in einem anderen Buch zu behandelnde Anschlussfrage wäre: Warum denn die anderen, die Mitteparteien und die Linken, dem kaum etwas entgegenzuhalten haben.

Zitierweise:
Georg Kreis: Rezension zu: Damir Skenderovic: The Radical Right in Switzerland. Continuity and Change 1945–2000. New York/Oxford, Berghahn Books, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 1, 2011, S. 134-136

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 1, 2011, S. 134-136

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